Gemeinsame Erklärung von Sahra Wagenknecht, Katja Wolf, Steffen Schütz und Christian Leye zu den Koalitionsverhandlungen in Thüringen:
BSW setzt versprochenen Neustart für Thüringen um. Künftige Regierung kritisiert US-Raketenpläne und will spürbare Verbesserungen im Leben der Thüringer und Corona-Amnestie
Ja, der Weg zu einem Koalitionsvertrag war in Thüringen kein einfacher. Mit dem Sondierungspapier und Präambel stand eine Regierungsbeteiligung in Frage. Mitglieder und Unterstützer in Thüringen wie auch der Bundesvorstand erwarten zu Recht, dass wir für die Positionen einstehen, für die wir im Wahlkampf geworben haben. Das zeigt, dass wir uns als BSW den Schritt in eine Regierung nicht leicht machen. Wir stehen für unsere Positionen und sind verlässlich. Nichts anderes erwarten unsere Wähler.
Es war gut, dass es Kritik gab, dadurch konnten wir in den anschließenden Koalitionsverhandlungen mehr erreichen. Denn den anderen Parteien wurde dadurch klar, dass wir uns als BSW nur an einer Regierung beteiligen werden, die die Handschrift des BSW trägt und spürbare Verbesserungen für die Menschen in Thüringen bringt.
In dem nun vorliegenden Koalitionsvertrag ist die BSW-Handschrift klar erkennbar – in der Friedensfrage, in der Corona-Aufarbeitung, bei der Bildung, in der Migration, bei Gesundheit und Pflege, in der Wirtschaft und einer Reihe anderer Landesthemen.
Wir hatten gesagt, dass wir uns nicht an einer Regierung beteiligen würden, die sich nicht kritisch zu den US-Raketenplänen positioniert. Diese für uns als BSW wichtige Position hat ihren Weg nun in den Koalitionsvertrag gefunden. Dort steht:
„Wir erkennen an, dass viele Menschen in Sorge um die aktuelle geopolitische Lage und den Krieg in Europa sind und die Stationierung von Mittelstreckenraketen als eine fundamentale Veränderung der strategischen und militärischen Lage in Europa und auch in Deutschland begreifen. Eine Stationierung und deren Verwendung ohne deutsche Mitsprache sehen wir kritisch.“
Dass die Raketen das militärstrategische Gleichgewicht verschieben und daher das atomare Risiko für Deutschland deutlich erhöhen würden, zumal über den Einsatz der Raketen ausschließlich die US-Regierung entscheiden würde, in den nächsten vier Jahren also Donald Trump, ist ein Punkt, den wir immer wieder angesprochen haben und es ist gut, dass wir dazu eine Positionierung gemeinsam mit CDU und SPD in Thüringen erreichen konnten. Angesichts der sich zuspitzenden Situation im Ukraine-Krieg ist es umso wichtiger, dass Friedenspositionen nun auch von Landesregierungen vertreten werden – eine Entwicklung, die vor BSW-Gründung ausgeschlossen war.
Die Formulierungen in der Präambel, dass die Thüringer Landesregierung sich für mehr Diplomatie einsetzt und die Sorgen der Menschen ernst nimmt, dass Deutschland in den Krieg hineingezogen werden könnte, bedeuten faktisch, dass alles vermieden werden muss, was diese Gefahr einer Eskalation vergrößert, wie es etwa bei der Lieferung von Taurus Raketen der Fall wäre. Als wir die Präambel verhandelt haben, war die Taurus-Frage noch nicht so brennend wie heute.
Weitere Themen, die im Wahlprogramm oder im Sondierungspapier nicht standen, haben wir zusätzlich verhandelt. Das gilt beispielsweise für das geplante Corona-Amnestiegesetz, das für viele unserer Wählerinnen und Wähler ein wichtiges Anliegen ist. Einen Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung der Corona-Zeit haben wir im Landtag bereits auf den Weg gebracht.
Auch die Schaffung finanzieller Spielräume für eine deutliche Erhöhung des sozialen und gemeinnützigen Wohnungsbaus ist ein wichtiger Erfolg für das BSW und die Thüringer.
Weitere zusätzliche Verhandlungserfolge sind die Festlegung, dass die Bundeswehr künftig nicht mehr im Unterricht für Berufsbilder werben darf, die Einrichtung eines Lehrstuhls für Frieden und Konfliktforschung, die schnellstmögliche Wiederaufnahme von Partnerschaften nach Russland und die Schaffung eines Europäischen Jugendcampus in Eisenach für Frieden und Völkerverständigung.
Wichtig ist uns auch eine strengere Kontrolle des Verfassungsschutzes, der sich auf seine verfassungsgemäßen Aufgaben konzentrieren und in Zukunft nicht mehr bei dem schwammigen Tatbestand der „Delegitimierung des Staates“ – also zur Einschränkung der Meinungsfreiheit – tätig werden darf.
Wir haben uns auch für eine realistische Energiepolitik eingesetzt, mit Pipeline-Gas als Brückentechnologie. Auch das hat Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden.
Thüringen wird deutlich mehr tun, um einen echten Bürokratieabbau, eine bürgernahe Verwaltung und mehr Teilhabe der Bürger zu ermöglichen. Als erstes Bundesland überhaupt werden die Thüringer im Rahmen einer breiten Bürgerbeteiligung über Krieg und Frieden diskutieren und der Landesregierung ihren Willen spiegeln.
Thüringen wird sich im Bund für einen Pflegekostendeckel einsetzen, damit Betroffene und ihre Angehörige nicht weiter befürchten müssen, immer weiter in die Armutsfalle getrieben zu werden.
Mit diesem Koalitionsvertrag kann das BSW seine erste Beteiligung an einer Landesregierung gut begründen.
Natürlich gilt für Thüringen was für alle Bundesländer gilt: Die landespolitischen Spielräume sind begrenzt. Die zerbrochene Ampel hat unser Land in eine tiefe Wirtschaftskrise geführt, die sich auch bei uns akut auswirkt und viele Arbeitsplätze gefährdet. Die Rentenkürzungen der vergangenen 25 Jahre haben viele alte Menschen in Armut gestürzt, die Rentenbesteuerung ist eine zusätzliche Last. Hier wollen wir die Älteren zumindest von bürokratischen Lasten befreien, aber eine andere Rentenpolitik, die unser Land dringend braucht, können wir leider nicht allein von Thüringen aus umsetzen.
Das BSW wird in der Thüringer Regierung allen Thüringern eine starke Stimme geben, die sich von der Politik der etablierten Parteien nicht mehr gesehen fühlen.